iXNet-Podcast - im Gespräch mit Andreas Krüger
Moderation und Podcast-Host: Andreas Brüning
Andreas Krüger:
„Wir sind für die Vermittlung unserer Kunst, unserer Ausstellungen zuständig. Mein Aufgabenfeld liegt darin, ein barrierefreies Umfeld zu schaffen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zu unserem Haus zu ermöglichen.“
iXNet:
Das sagt Andreas Krüger, Referent für Barrierefreiheit und Inklusion an der Berlinischen Galerie.
Andreas Krüger:
„Das können Führungen für blinde oder sehbehinderte Menschen sein. Das können Führungen in deutscher Gebärdensprache sein, die sich vorrangig an taube Personen richten. Oder andere Maßnahmen, um Kunst über mehrere Sinne zu erfahren – auch durch bauliche Barrierefreiheit. Das sind meine täglichen Aufgaben.“
iXNet:
Inklusion und Diversität in der Kunstvermittlung – darum geht es in dieser iXNet-Folge. Ich bin Andreas Brüning vom iXNet-Team. Ich habe mit Andreas Krüger gesprochen, der zwei Jahre lang Kulturreferent der Bundesbehindertenbeauftragten war. Seit 2019 arbeitet er an der Berlinischen Galerie, wo er Barrieren abbaut – und selbst mit einer Sehbehinderung lebt. Auf der Website der Galerie sieht man ihn in einem Ausstellungsraum: Er berührt ein Tastmodell, in der anderen Hand hält er seinen Blindenlangstock.
Andreas Krüger:
„In den Kulturbereich bin ich gekommen, weil ich mich schon immer für Kunst interessiert habe. In der Schule habe ich gern gemalt, deshalb war es mein großer Wunsch, mich beruflich in diesem Feld zu verwirklichen. Nach dem Abitur habe ich Kunstpädagogik studiert – also diese pädagogische Ausrichtung, Kunst anderen zu vermitteln. Parallel habe ich mich mit dem Ausstellungswesen befasst: Wie arbeitet ein Museum, was braucht es, um eine Ausstellung umzusetzen – von der Katalogarbeit bis zur Werbung. Das waren die Anfänge, warum ich nach meiner Ausbildung auch im Museum arbeiten wollte.“
iXNet:
Seit 2010 lebt Andreas Krüger in Berlin. Bevor er zur Berlinischen Galerie kam, war er beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband tätig – dort, wo Kunst und Geld häufig im Spannungsfeld stehen. Seine Erfahrung mit Kultursponsoring ist heute wertvoll für sein Haus. Doch Barrierefreiheit steht oft als Erstes auf der Streichliste, wenn Mittel knapp werden. Krüger ist dafür zuständig, dass genau das nicht geschieht – dass Kunst inklusiv erfahrbar bleibt. Wie aber erlebt er selbst Kunst, die er visuell nicht mehr vollständig wahrnehmen kann?
Andreas Krüger:
„Im Museum habe ich Ruhe. Ich kann mich detailliert mit einem Kunstwerk auseinandersetzen. Dabei kommt es auf die Beschreibung an – vom Groben ins Detail: Was ist das Hauptmotiv? In welcher Epoche befinden wir uns? Was ist dargestellt? Welche künstlerischen Besonderheiten gibt es – Farben, Formen? Durch Rückfragen nähere ich mich dem Werk: Wie ist eine Figur gedreht? Welche Haltung, welche Kleidung, welche Gesichtsausdrücke? Das Spannende ist der Dialog mit anderen, um in diese Bildwelt einzutauchen – ihre Strahlkraft, Wärme oder Kälte zu spüren. Wenn ich eine Skulptur ertasten darf, bekomme ich Gänsehaut – weil mich Formen, Materialien und Oberflächen emotional berühren. Und wenn Musik oder Theater hinzukommen, ist das wie ein Traum, fast wie ein 3D-Kino. Durch Audiodeskription entsteht ein inneres Bild.“
iXNet:
Andreas Krüger legt großen Wert auf Selbstständigkeit – beim Erleben und beim Vermitteln von Kunst. Er sagt: Installationen selbst erkunden zu können, schafft Freiheit. Besonders die zeitgenössische Kunst ermöglicht ihm vielfältige Assoziationen.
Andreas Krüger:
„Das erlebe ich vor allem im Bereich der Zeitgenössischen Kunst – und das macht mir sehr viel Freude.“
iXNet:
Seine eigene Sehkraft hat Krüger schrittweise verloren. Dass er Farben und Formen aus früheren Zeiten noch erinnert, hilft ihm heute, Kunst zu verstehen.
Andreas Krüger:
„Ich konnte in der Schulzeit und im Studium noch relativ gut sehen. Davon profitiere ich bis heute – von der Strahlkraft der Farben, der Wirkung von Gemälden, auch in der zeitgenössischen Kunst, die stark visuell geprägt ist.“
iXNet:
Die Berlinische Galerie gilt als Vorreiterin in Sachen Inklusion: Tastmodelle, Leitsysteme mit Bodenindikatoren, spezielle Führungen – all das ermöglicht auch blinden und sehbehinderten Menschen den Zugang zur Kunst. Was aber macht ein Museum wirklich barrierefrei?
Andreas Krüger:
„Wenn ich mich frei durch den Raum bewegen kann. Wenn ich Orientierungshilfen habe, um mich sicher zu fühlen – nicht gegen Kunst zu stoßen, mich zurechtzufinden. Dann kann ich mich der Kunst widmen. Schön ist es, wenn ich Kunst berühren, hören, erleben darf – über Raumeindrücke, über Beschreibungen oder Audiodeskription. Entscheidend ist aber die Eigenständigkeit: dass ich das im Idealfall allein tun kann.“
iXNet:
Nicht jede Behinderung ist gleich. Eine schwerhörige Besucherin hat andere Bedürfnisse als eine blinde. Wie gelingt der Berlinischen Galerie dieser Spagat?
Andreas Krüger:
„Wichtig ist, geeignete Kunstvermittlerinnen und -vermittler aus den jeweiligen Communities zu finden. Nicht über die Köpfe hinweg zu vermitteln, sondern Menschen selbst zu ermächtigen, im Museum zu arbeiten. Bisher teilen wir unsere Angebote nach Zielgruppen auf: Führungen und Tastworkshops für Blinde und Sehbehinderte, Führungen in Gebärdensprache, Angebote in Leichter Sprache. Ein gemeinsames, universelles Angebot für alle gibt es noch nicht – das ist unser nächstes Ziel.“
iXNet:
Andreas Krüger nennt seine eigene Sehbehinderung einen „Mehrwert“ für das Haus. Was bedeutet das konkret – für das Publikum, aber auch für die Institution?
Andreas Krüger:
„Unser Wunsch ist, dass Besucherinnen und Besucher Spaß haben an dem, was sie sehen und erleben – und sich willkommen fühlen.
Barrierefreiheit gehört dazu: ein aufmerksames Haus, unterstützende Aufsichtskräfte, offene Begegnungen. Kunstvermittlung heißt für mich Dialog – Fragen stellen dürfen, eigene Erfahrungen einbringen. So entsteht Lebendigkeit: Menschen werden dort abgeholt, wo sie stehen, mit ihren Interessen und Perspektiven. Und sie entdecken vielleicht Neues oder sehen Bekanntes kritisch mit anderen Augen.“
iXNet:
In einer idealen Welt ist Kunst für alle zugänglich – ohne Hürden, ohne Ausgrenzung. Wie sieht für Andreas Krüger das Museum der Zukunft aus?
Andreas Krüger:
„Ein Museum der Zukunft bedeutet für mich totale Offenheit. Menschen sollen ohne Scheu, ohne Hemmschwellen kommen können – auch unabhängig vom Geldbeutel. Ich wünsche mir Bereiche, die kostenlos zugänglich sind. Möglichkeiten, spontan Fragen zu stellen – vielleicht an eine KI, vielleicht an eine Person im Raum. Ich will Wissen erwerben, ohne mich outen zu müssen, wenn ich etwas nicht weiß. Und natürlich gehört dazu, dass wir auch in unseren Teams vielfältiger werden – dass Menschen mit Behinderung, mit Diskriminierungserfahrungen Leitungspositionen übernehmen. Nur so wird Inklusion selbstverständlich gelebt.“
iXNet:
Das war Andreas Krüger, Referent für Barrierefreiheit und Inklusion der Berlinischen Galerie. Ich bin Andreas Brüning vom iXNet-Team. iXNet ist ein Angebot der Bundesagentur für Arbeit – konkret der Arbeitsvermittlung für schwerbehinderte Akademikerinnen und Akademiker (ZAV).